Ein Besuch auf der Wachkomastation

01.Oktober 2020
  • Clowns im Einsatz

Es ist Montag 10.00 Uhr im Geriatrischen Gesundheitszentrum in Graz, das bedeutet: Clown Franz alias Joe Hofbauer hat seinen Fix-Termin auf der Wachkomastation. Wachkoma – ein Begriff, mit dem die wenigsten Menschen Berührungspunkte haben.

Während man die sehr freundliche, helle Wachkomastation betritt, fallen sofort die über und über mit Fotos geschmückten Wände auf, die gemeinsame Ausflüge dokumentieren. Die letzte Unternehmung führte demnach wohl auf den Weihnachtsmarkt. So wird man von allen Seiten von strahlenden Gesichtern von Familienangehörigen empfangen, die sich meist in einem Halbkreis um die im Rollstuhl sitzenden Patient*innen versammeln und freundlich in die Kamera lächeln.

Franz trifft ein

Im Aufenthaltsraum befinden sich drei Patient*innen. Zwei sehen fern, der dritte hat gerade Besuch von der Familie. Es herrscht eine angenehm ruhige Stimmung. Dann öffnet sich die Tür: Clown Franz betritt die Station in voller Montur: er trägt sein kraftvoll buntes Clown Kostüm, eine kleine Trompete hängt schief über seiner Schulter und natürlich die kreischend pinke Scheibtruhe, die er vor sich herschiebt und weitere Utensilien enthält, die in seinem Clown Alltag dringend benötigt werden: eine kleine Ukulele, ein überdimensional großer Fächer und mehrere bunte Tücher.

Noch schenken die Patient*innen dem Clown trotz seinem auffälligen Auftreten kaum Aufmerksamkeit. Anders die Angehörigen sowie das Pflegepersonal, die den gern gesehenen Gast freudig lächelnd begrüßen. Wobei, „Gast“ passt wahrscheinlich nicht ganz zu Franz, ist er doch schon seit drei Jahren fixer Bestandteil des Teams, dokumentiert die Reaktionen und schreibt nach jedem seiner Besuche ausführliche Berichte. „Montags gehört Joe einfach dazu.“, betont Stationsschwester Annika Thonhofer.

Musik - der Schlüssel zur Seele?

Franz steuert zielsicher auf den von Familienmitgliedern umringten Patienten zu, stellt seine Scheibtruhe ab und begrüßt ihn fröhlich. Simon ist seit drei Monaten im Wachkoma, nachdem er bei einem Segelunfall beinahe ertrunken ist. Der erfahrene Clown weiß Bescheid, „Gerade bei Wachkomapatient*innen sind bunte und auffällige Requisiten essentiell. Leichter Körperkontakt ist auch wichtig, um besser in ihr Bewusstsein vorzudringen.“. So tritt Franz nahe an den Patienten ran, berührt ihn sanft am Arm und grinst in breit an. „Hallo Simon, ach‘ bin ich froh, dich hier anzutreffen. Ich brauche dringend deinen Rat“, sagt Franz und schnappt sich seine Trompete. „Ich hab‘ ein neues Lied einstudiert und frage mich, ob das gut klingt. Ich würde nämlich so gerne in den Backstage-Bereich vom Opernball. Als Musiker ist es doch kein Problem in den Backstage-Bereich gelassen zu werden, oder?“ Franz, der genau über die Patient*innen informiert ist, weiß, dass Simons große Leidenschaft die Musik ist, er selber in einer erfolgreichen Band gespielt hat und auf einigen Konzerten im VIP-Bereich ein- und ausging. Franz erhofft sich mit diesen Anspielungen freudige Assoziationen zu erzeugen.

So nimmt Franz ein kleines Stück Papier heraus, ein Notenblatt, hält es direkt vor seine Nase und beginnt den Schneewalzer zu spielen. Zuerst ganz leise und mit der Zeit etwas lauter und selbstbewusster. Mit großen Augen schaut Simon ihn nun direkt an. Franz ist stolz auf das Feedback „Das klingt super oder? Ich habe lange dafür geübt“, erklärt Franz in einer kleinen Atempause und spielt dann weiter. Leise flüstert Simons Sohn seiner Freundin zu: „Gerade schaut Papa wieder wie früher.“

Gemeinsamer Auszug

Nach einer Weile hört Franz auf und schaut verwirrt um sich: „Wieso sitzt ihr eigentlich hier im Aufenthaltsraum rum?“ Daraufhin erklärt Simons Sohn, dass heute der erste Ausflug raus aus dem Krankenhaus geplant ist. Die leichte Nervosität und Anspannung in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Sie wollen eine kleine Runde spazieren gehen und dann noch in einem Café einkehren. Das findet Franz super und bietet an, die Truppe musikalisch aus der Station zu begleiten.

So ziehen sie also los: der Sohn, seinen Vater im Rollstuhl schiebend voran, gefolgt von drei weiteren Familienangehörigen und das Schlusslicht bildet Franz, der stolz und mit erhobenen Kopf seinen Schneewalzer spielt. Die Stimmung ist ausgelassen, und kurz bevor die Truppe die Tür erreicht, zuckt es leicht um Simons Mundwinkel. Ein Lächeln?!

Reaktionen

Für Franz sind Reaktionen wie diese immer wieder emotional sehr berührend, allerdings keine Einzelfälle. „Sehr viele der Patient*innen bekommen so viel mehr mit, als man meinen möchte. Ich bin mir sicher, einige von ihnen erkennen mich mittlerweile.“

So zieht Franz von Zimmer zu Zimmer, 25 insgesamt. Auf jeden/e der Patient*in, deren schicksalhafte Geschichte Franz genau kennt, geht Franz individuell und sehr sensibel ein. Ein Mädchen, das bereits seit vier Jahren auf der Station ist, empfängt ihn weit grinsend, ein anderer Patient, der seit Monaten so gut wie keine Regung von sich gibt, zuckt einige Male während Franz Besuchs. So unterschiedlich die Krankheitsgeschichten und dramatischen Schicksale der Patient*innen sind, äußern sich auch deren Reaktionen. 

*Die Fotos in diesem Beitrag sind vor dem Ausbruch der Covid19 Pandemie entstanden. Aufgrund der aktuellen Situation werden alle Hygiene- und Abstandsregeln bei möglichen Einsätzen eingehalten.

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