Wer spricht, bitte?

30.Oktober 2023
  • ROTE NASEN Interviews

Hier ein Einblick über ihre Arbeit und dieses Format.

Wie ist die Idee zum Clowntelefon entstanden?

Christina: Ich bin aus der Karenz zurückgekommen und es war kaum möglich Einsätze zu machen bzw. wenn überhaupt, nur outdoor.

Deshalb sollten wir uns überlegen, welche neue Formen der Begegnung es gäben könnte. So kam mir die Idee, dass man doch telefonieren könnte. Ich habe die Idee ausformuliert und intern besprochen. Im Anschluss habe ich mit den zuständigen Ansprechpersonen in Häusern, mit denen wir schon zusammenarbeiteten, Kontakt aufgenommen. So ist ein kleiner Pool an Senior*innen entstanden, mit denen wir teilweise heute noch telefonieren.

Wie haben die Einrichtungen auf den Vorschlag reagiert?

Christina: Eigentlich gut. Es ging hauptsächlich darum, ob es vor Ort jemanden gibt, der Zeit hat, um den Senior*innen beim Erstkontakt mit dem Clowntelefon zu helfen. Der sagt: „Hallo! Schau mal, hier ist der Clown XY, der mit Ihnen sprechen will.“ Das ist notwendig, weil es sonst für die Senior*innen einfach zu weit weg, dass sie von einem Clown angerufen werden. Es ist den Senior*innen auch wichtig, dass wir sie anrufen, nicht umgekehrt.

Wie lange dauert ein Telefonat ungefähr?

Birgit: Das ist ganz unterschiedlich. Zwischen 2 und 10 Minuten vielleicht oder manchmal auch 20 Minuten oder länger.

Katharina: Ich habe auch schon 45 Minuten telefoniert. Und es waren auch schon 3 Sekunden dabei, also wirklich sehr unterschiedlich.

Bleiben die Betreuer*innen während des ganzen Gesprächs dabei?

Katharina: Wenn der Erstkontakt hergestellt ist und sich die Senior*innen auskennen, dann können wir auf den privaten Handys anrufen und dadurch benötigen wir die Mitarbeiter*innen vor Ort nicht mehr. Manchmal rufen wir auch beim Stationstelefon an und dann sind sie schon involviert.

Wer wählt die Senor*innen, die angerufen werden, aus – Ihr, weil ihr sie schon kennt oder die Betreuer*innen?

Christina: Unterschiedlich, aber beides ist möglich.Oft sind praktische Dinge entscheidend, wie z.B. ob jemand sprechen oder das Telefon halten kann etc.

Wie läuft so ein Telefonat ab? Überlegt ihr euch vorab, worüber ihr reden könntet oder passiert das spontan?

Christina: Dazu möchte ich vorweg sagen, es ist kein Unterhaltungsprogramm. Oft wird erwartet – auch vor Ort – dass wir kommen, um zu unterhalten, aber wir kommen, um zu spielen. Wir interessieren uns dafür, was vom anderen kommt und welchen Kosmos wir gemeinsam erfinden können.

Ich habe improvisatorisches Repertoire und auch sowas wie ein Thema für den Tag vorbereitet. Das Wichtigste ist es, Begegnung zu schaffen. Es ist ein Solo-Clowning-Projekt und es geht darum, dass man als Clown allein eine andere Person in das Spiel verwickelt und zu einem Spielpartner macht.

Was funktioniert gut, um ins Gespräch zu kommen?

Christina: Ich beschreibe in welcher Umgebung ich mich befinde. Oft spreche ich über das Wetter und frage, ob das Wetter bei der anderen Person auch so grauslich ist oder ob sie schon draußen war. Und ich schau, an welchen Themen, die ich anspreche, die andere Person auch interessiert ist und wie sie zu einem Spaß kommt.

Oder ich bitte um einen Ratschlag. Beim Beispiel Wetter wäre das etwa: ‚Ah, es ist so ein schöner Tag und ich habe mich von der Sonne verleiten lassen, keinen Pullover anzuziehen und dann bin ich fast abgefroren. Was mach ich denn jetzt ohne meinen Pullover? Soll ich überhaupt noch rausgehen? Was glauben denn Sie?

Katharina: Ja genau. Tipps einzuholen ist ein großes Thema. Die Lebensweisheit von den Menschen zu nutzen oder zu aktivieren, das ist sehr zentral. Und auch Musik ist sehr wichtig, wie auch bei unseren „normalen“ Einsätzen bei Senior*innen. Das gemeinsame Singen verbindet.

Christina: Ich habe auch übers Projekt bemerkt, wie viel die Senior*innen über das Leben wissen. Also nicht nur über praktische Sachen, wie etwa was es heißt Butter flaumig zu rühren, sondern auch über den Umgang mit Gefühlen, Liebe, Wut, etc. einfach die großen Themen des Lebens. Sie haben viele Jahre Lebenserfahrung und auch viel zu erzählen.

Birgit: Ich überlege mir eigentlich auch immer etwas als Start ins Gespräch. Im Idealfall gleiten wir dann von einem ins nächste Thema, das oft von den Senior*innen kommt.

Zu Beginn war es für mich schon eine Herausforderung, die Person am anderen Ende der Leitung wahrzunehmen, sie ein bisschen kennenzulernen und zu schauen, wo ist da was möglich, wo ist der Humor oder wo kann ich als Clownin mit einer skurrilen Sichtweise oder Idee einhaken.

Katharina: Ich mag auch noch erzählen, wie ich es mache;-)
Ich überlege mir auch vorher immer irgendetwas, das mich interessiert. Ich dachte anfangs, da wird schon was kommen, aber ich habe gemerkt, dass es gut ist, wenn ich etwas im Kopf habe, das mir grad Freude macht.

Und dann ist es eigentlich wie immer beim Clownen. Ich versuche zu spüren, ob es gerade passt, dass ich da bin oder nicht. Übers Telefon ist das manchmal ein bisschen schwieriger, aber dann frage ich:  „Passt es gerade, dass ich da bin oder sollen wir auflegen?“

Manchmal spürt man schon beim Abheben, dass die Stimmung  down ist. Dann spreche ich an, dass ich das höre. „Ich habe das Gefühl, dir geht es heute nicht so gut?!“

Und dann frage ich, ob ich irgendwas machen kann, um die Person aufzuheitern. Ich versuche, etwas Gemeinsames zu finden und doch noch etwas Positives reinzubringen.

Das, was wegfällt, ist, dass man sich gegenseitig sieht. Das macht's teilweise schwieriger, aber teilweise auch intimer. Denn irgendwie hat man das Gefühl, da sind nur wir zwei. Das macht eine sehr hohe Verbindlichkeit aus. Deshalb ist es auch sehr schade, wenn das Clowntelefon aus irgendeinem Grund ausfällt. Denn hier sind Leute, die warten darauf, dass jeden Freitag jemand anruft.

Wie viele Telefonate macht ihr hintereinander?

Birgit: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, je nachdem wie lange ein Telefonat dauert und wie es fließt oder eben nicht. Manchmal brauche ich nach einem Telefonat eine Pause, manchmal rufe ich gleich die nächste Person an.

Christina: Im Schnitt kann man sagen so zwischen sechs und neun. Das ist eine ganze Einsatzzeit mit Telefonieren und Protokollieren und Vor- und Nachbereitung.

Wie ist es, wenn ihr die Senior*innen, mit denen ihr telefoniert habt, dann bei einem Besuch seht. Bezieht ihr euch auch auf die Telefonate?

Katharina: Ja, es gibt z.B. ein Ehepaar und da telefoniert die Dame gerne mit uns und sie verknüpft eigentlich alles miteinander. Sie schimpft dann am Telefon spaßhaft: „Was war los, letzte Woche war niemand da“. Und wenn wir kommen, sagt sie: „Oh, die Frizzi hat mich am Freitag angerufen.“

Wie ist es generell für euch zu clownen, ohne dass das Gegenüber eure Mimik und Gestik sieht?

Christina: Jeder Ausdruck über die Stimme, über den Klang und über den Rhythmus ist viel ausgeprägter. Ich komme mir teilweise vor wie in der Arbeit im Tonstudio. Man konzentriert sich einfach auf den Klangraum. Ich nehme die Senior*innen beim Telefonieren auch noch viel genauer über ihren klanglichen Ausdruck wahr.

Birgit: Beim Einsatz im Zimmer ist man auch mit anderen Dingen beschäftigt, man ist abgelenkter. Beim Telefonieren gelingt es oft, den Zustand der Senior*innen über die Stimme ganz fein und bewusst wahrzunehmen.

Katharina: Für mich ist das ähnlich. Es ist, als würde ich die Augen schließen und so durch die Welt gehen und die Ohren werden wacher. Das, was man hört, gewinnt dadurch an Bedeutung.

Wie geht ihr damit um, wenn während des Telefonats plötzlich Stille herrscht?

Katharina: Kommt darauf an, warum die Stille entsteht. Man kann gemeinsam still sein und es ansprechen, dass man einfach einmal gemeinsam still sein will. Dann halte ich es auch länger aus, aber so viele Stillen entstehen bei mir eigentlich nicht? Bei euch?

Birgit: Ich achte extra darauf, Stille zuzulassen, weil sie eine Challenge ist und weil dadurch auch wieder Nähe entsteht. Aber es erfordert schon Mut, die Stille zuzulassen und nicht gleich weiterzureden.

Christina: Ich finde auch, dass es immer große Bereitschaft und Mut braucht.  Wenn wir im Zimmer sind und Stille zulassen, dann muss man auch aushalten, dabei angeschaut zu werden oder jemanden in die Augen zu schauen und nichts zu sagen, das ist auch nicht einfach. Beim Clowntelefon kann ich dann zumindest beim Fenster rausschauen und auf den Impuls der Zuhörer*in warten. Ich finde es richtig und wichtig, diesen Möglichkeitsraum aufzumachen und zu warten, was entsteht.

Welches Feedback bekommt ihr von den Senior*innen mit denen ihr telefoniert?

Katharina: Es gibt Senior*innen, die von selbst jede Woche anrufen und uns auch teilweise unter der Woche auf den Anrufbeantworter sprechen. „Bitte ruft mich wieder an.“

Christina: Ich frage auch oft nach, wie es ihnen gefällt, einfach um die Möglichkeit zu bieten, auch „Nein“ zu sagen. Und da höre ich dann oft, ja bitte, gern, ruft unbedingt an. Dann weiß ich, dass es gut passt.  

Birgit: Wir haben auch schon Feedback von den Angehörigen bekommen, die sagen, dass es den Eltern gut gefallen hat … Und ich finde, es ist auch ein positives Feedback, wenn man immer ans Telefon geht. Man kann ja auch einfach nicht abheben, wenn man keine Lust zum Telefonieren hat.

Christina: Oder sagen, lass mich in Ruhe. Ihr zipfts mich an. Das würden sie auch sicher machen. Da telefoniert keiner aus Höflichkeit.

Katharina: Sie nehmen sich zum Glück kein Blatt vor den Mund:-).

Was ist die größte Herausforderung für euch?

Katharina: Die Telefonate sind sehr energieintensiv, oft intensiver als ein Einsatz in einer Einrichtung, einfach weil es sehr viel Konzentration verlangt.

Birgit: Das ist bei mir auch so. Es braucht sehr viel Energie, und es arbeitet auch sehr lange nach, vielleicht weil es so intim ist und weil man die Verantwortung spürt für die Person, mit der man spricht. Man möchte offen sein und ehrlich und gleichzeitig clownesk. Also ich setze mir die Nase auf beim Telefonieren, um in diese Energie zu kommen und um nicht Gefahr zu laufen, dass es vielleicht zu privat wird. Dass das nicht ich bin, sondern meine Aurelia, die da telefoniert und die ihre Sicht auf die Welt einbringt.

Was bedeuten die Telefonate für die Senior*innen?

Christina: Ich glaube, es ist eine sehr persönliche Sache für die meisten Senior*innen. Das ist jetzt nur eine Hypothese, aber ich glaube, es ist so: Ah, das Clowntelefon ruft an – Die Frizzi, die Aurelia oder die Marie rufen MICH an, sie wollen etwas von MIR.

Birgit: Ich glaube, sie sind für viele wie eine Säule. Die Senior*innen haben einen Halt durch diesen Telefonkontakt, eine Telefonfreundschaft, die wie ein Anker in ihrem Leben sein kann.

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